Komfortzone Adé – 42 Kilometer zu Dir

„Ich erlaube mir zu sein

wer ich bin, verrückt und

weiblich auch auf dem Wasser.“

Dieser Artikel ist im Dezember 2016 im Kiteboarding Magazin erschienen. Der Inhalt des Textes stammt von mir, Nadja Knauder, und wurde von der Redaktion des Magazins angepasst.

Dipl. Personal Fitness- und Mental Trainerin Nadja Knauder beschreibt, inwiefern ein Kite-Marathon nicht nur eine sportliche Herausforderung ist sondern – viel entscheidender – ein mentales Training beinhaltet und Glücksmomente freisetzt.

Der Schritt aus

der Komfortzone.

Jeder Mensch hat sie. Und, sie begrenzt uns. Unsere Komfortzone. Ihre Grenzen halten uns von der Fülle des Lebens fern, unsere Gedanken sind ihre Wächter. Die Grenzen unserer Komfortzone zu überschreiten ist der erste, ja notwendige Schritt zum Glücklichsein. 

 

Ein schöner Weg seine persönliche Komfortzone zu verlassen ist ein Kite- Marathon. Sowohl räumlich als auch bildlich. Mein erster Kite-Marathon war der Red Bull Coast2Coast im September 2015. Die Strecke führte von Fehmarn nach Dänemark und wieder zurück. Insgesamt etwas mehr als zweiundvierzig Kilometer, inklusive der Überquerung einer der meist befahrenen Schifffahrtsstraße der Welt.

Zwischen Überforderung

und Wachstum.

Ich dachte mir nichts dabei teilzunehmen, denn Kiten beherrschte ich ja. Wie könnte so ein Rennen schwierig werden, es ging ja nur um eine schöne Kite Session. Natürlich wurde ich eines Besseren belehrt und durfte meine Grenzen erfahren – sowohl körperlich als auch mental. Grenzen, die ich im „normalen“ Leben so niemals hätte erreichen können. Ich brauchte zweieinhalb Stunden, war völlig überpowert, ganz alleine auf dem Wasser – trotz der fünf hundert Kitesurfer um mich herum. Wieder an Land sagte ich mir: „nie wieder!!!“, denn ich war völlig erledigt. Nachdem ich mich etwas erholt hatte, sprach eine innere Stimme „auf geht’s – zum nächsten Rennen!“.

Der Überlebensmodus.

Eine einzigartige Macht.

Was war da draußen passiert? Ich war total überfordert. Es wäre ein leichtes gewesen den „Safety Button“ zu drücken und mich von einem Rettungsboot abholen lassen. Doch mein Stolz ließ das nicht zu, ich musste es einfach schaffen. Ich bin sportlich fit und wollte immer schon wissen, wie sehr ich körperlich und mental belastbar bin. Ich hatte da draußen mit allen möglichen Gedanken zu kämpfen. Einer der stärksten war der des Überlebens.

Ein Zeichen der Überforderung sind Selbstgespräche.

 

Das Unterbewusstsein hilft mit positiven Erinnerungen.

Auf dem Rückweg fing ich auf einmal an, ein englisches Gutenacht Lied zu singen, das mir meine Oma immer vorgesungen hatte. Ich dachte: „Wow, Heavy Metal wäre wohl passender.“ Doch für meine Seele war genau dieses Lied passend. Denn es beruhigte mich. In meinem Unterbewusstsein ist dieses Lied zusammen mit einem Gefühl der Sicherheit abgespeichert. Denn während meine Oma dieses Lied sang, fühlte ich mich geborgen. Dieses Gefühl der Sicherheit konnte ich jetzt aktiv erzeugen, indem ich mich durch das Singen des Liedes an das Gefühl der Sicherheit aus meiner Kindheit erinnerte, auf die momentane Situation übertrug und somit die Angst vor dem Alleinsein auf hoher See und vor den damit verbundenen Gefahren überlagern ließ. Das gab mir die Kraft, den Törn trotz meiner Angst zu genießen und sicher auf Fehmarn anzukommen.

„Das eigene Leben ist

aktiv steuerbar.

Positive Momente sind erlebbar.“

Nachdem ich den Entschluss zu weiteren Kite-Marathons gefasst hatte, musste ich ja irgendwie dafür trainieren. Ich hatte einen Kitetrainerjob in El Gouna. Dort fand ich auch für mich einen Trainingspartner: Byron de Nicker. Byron ist Südafrikaner und ebenfalls passionierter Kiteboarder.

 

An einem Tag mit idealen Bedingungen starteten wir unseren ersten Trainingslauf. Zwanzig Kilometer auf das offene Rote Meer hinaus und zurück. Der große Unterschied zum Red Bull Rennen war, dass wir nur zu zweit waren und auch keine Boote auf dem Wasser hatten, die uns helfen konnten, falls uns etwas passieren sollte. Wir starteten, ich überwachte auf meiner Sport-Uhr Zeit, Speed und Wegstrecke. Unsere Route war einfach: zwanzig Kilometer hinaus auf das Meer – und zurück. Nach sieben Kilometern sagte ich Byron zum ersten Mal Bescheid – er nickte nur. Nach elf Kilometer sagte ich ihm wieder Bescheid. Er war sehr überrascht, dass es erst elf Kilometer waren, denn gefühlt, meinte er, seien es mehr. Bei fünfzehn Kilometern stoppte er. Wir waren quasi in einer Stellung seit vierzig Minuten unterwegs. Er meinte, dass es langsam mühsam wird. Ich konnte ihn jedoch davon überzeugen, dass wir auch die letzten fünf Kilometer in Angriff nehmen und weiterfahren sollten, denn auch die Zeit war ja das Ziel.

Das Unterbewusstsein meldet sich

außerhalb der Komfortzone.

Die vierzig Kilometer sollten in maximal zwei Stunden gefahren werden, eine Stunde dreißig wären der Hammer. Bis zum Kilometer zwanzig ging alles gut. Doch so langsam meldete sich das Unbewusste. Wir begannen unsere mentalen Kräfte zu spüren, bekamen Kontakt zu unserer Persönlichkeit. 20 Kilometer Vollgas über hohe Wellen – ohne Safetyboot – machten sich bemerkbar. Zweifel machte sich breit. Die Angst und ein leicht mulmiges Gefühl nahmen zu. Wir wollten nur noch schnell zurück. Zwanzig Kilometer lagen noch vor uns – und der Wind hatte zugenommen. Wir waren beide total überpowert, es wurde zu einer Challenge auf dem Brett zu bleiben. Die Zeit war für uns noch immer wichtig und eine statische, einseitige Belastung wird mit der Zeit anstrengend.

Vertraue Dir selbst.

Durch die Bedingungen entfernte sich Byron während der Rückfahrt von mir. Mein Geist wurde immer stärker von dem Ziel „schnell und sicher nach Hause zu kommen“ getrieben. Ich kam nicht so schnell hinterher. Die Distanz zwischen ihm und mir wurde größer. Gedanken „des Alleinegelassen-Werdens und des Allein-Seins“ kamen in mir auf. Ich bekam Angst vom Brett zu fallen, von einem Hai angeknabbert zu werden, abzutreiben, oder einfach nicht mehr die Kraft zu haben nach Hause zu kommen. Ein Boot war ja nicht da, ein Crash würde bedeuten, dass ich ewig lange im offenen Meer treiben würde. Keine sehr angenehmen Gedanken, die mir jetzt bewusst wurden.

Entscheidungen & Konsequenzen

trägt man selbst.

In dieser angespannten Situation gewann ein Gedanke aber immer mehr an Kraft: Dadurch, dass keiner in meiner Nähe war, der mich im Notfall retten konnte, wurde mir bewusst, dass – egal welche Entscheidungen im Leben ich treffe, ich mir bewusst sein muss, dass ich die Konsequenzen dieser Entscheidung alleine tragen muss. Ich kann die Verantwortung für meine Entscheidungen – für mein Leben – nicht an andere abgeben. Verantwortlich für mein Leben bin immer nur ich. Und zwar ausschließlich ich. Diese Worte mögen sich einfach und plausibel anhören. Dennoch denke ich, dass das Bewusstsein der Tragweite dieser Erkenntnis in nicht wirklich vielen Menschen verankert ist. Dies ist aber absolut notwendig, um authentisch, selbst bestimmt und somit erfolgreich sein Leben gestalten zu können.

Extremsituation schaffen

eine neue Denkweise.

Diese Erkenntnis ist ein zentraler Punkt meiner Arbeit. Durch das Erleben von Extremsituationen Kontakt zum eigenen Selbst zu erlangen. Und durch das Meistern dieser Situation – quasi über ein Umdenken bzw. Überschreiben der alten Denkmuster – also durch das Spüren der eigenen mentalen Stärke – Selbstvertrauen und ein höheres Selbstwertgefühl aufzubauen. In meinen Workshops kreiere ich Situationen (sichere Situationen), in denen die Teilnehmer in Kontakt mit dem Ungewissen kommen, das Gefühl einer Krise erleben – Situationen, die wir im Normalleben, in unserer Komfortzone zu vermeiden suchen. Denn nur durch das Durchleben und Überstehen von Angstsituationen entsteht mentale Stärke. Eine Erfahrung, die uns dann im Alltag zugutekommt und uns hilft, Situationen sicherer zu meistern. Der Weg aus der Angst führt durch die Angst.

 

Ach ja, Byron und ich legten die vierzig Kilometer in einer Stunde und fünfundvierzig Minuten zurück und kamen beide gesund und glücklich, wenn auch erschöpft – vor allem mental – am Strand von El Gouna an.

Was lernte ich durch

den „Kiteausflug“ mit Byron?

Durch die Angst.

Das schafft Erfolg.

In einer Situation, in der Angst aufkommt, gilt es, dieses Gefühl anzunehmen, es nicht zu bekämpfen oder unterdrücken zu wollen. Jedoch ohne zuzulassen, dass das Gefühl der Angst die Situation übernimmt und dich dadurch beherrscht. Genau diesen „Flow“ zu erreichen, ist die Schwierigkeit in Stresssituationen. Aber, indem wir genau das schaffen, spüren und beweisen wir uns, zu welchen Leistungen wir das Potential haben, wenn wir in der Lage sind, unsere Gedanken zu kontrollieren. Diese Erfahrung gelingt nur, wenn wir uns trauen, unsere Komfortzone zu verlassen. Mit diesem Kite-Marathon haben Byron und ich diesen Schritt gewagt und wurden mit der Erfahrung, unsere Angst in ein Glücksgefühl transformiert zu haben, belohnt.

Diese vierzig Kilometer zu fahren war nicht das Problem. Sondern zu spüren, als nach den ersten zwanzig Kilometern die Müdigkeit etwas einsetzte, dass wir nicht einfach aussteigen und abbrechen konnten. Jeder von uns war für sich selbst und seine Sicherheit verantwortlich. Diese Erkenntnis erzeugte Angst, verpulverte sehr viel Energie auf der mentalen Seite und beeinflusste die körperliche Leistungsfähigkeit.

 „Nur das Vertrauen in

unsere eigenen Fähigkeiten

ermöglicht uns Ziele

zu verfolgen und zu erreichen.“

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